"Alles konzentrierte sich in der Arbeit"

(04.05.2007) Die Gießener Justus-Liebig-Universität wurde vor 400 Jahren als lutherische "Gegen-Uni" gegründet

von Stefanie Walter (epd)

"An einer größeren Universität wären meine Kräfte zerissen oder zersplittert", schrieb der berühmte Chemiker Justus von Liebig. In Gießen jedoch "konzentrierte sich alles in der Arbeit". Zwölf Jahre lang lehrte der Forscher, der unter anderem Mineraldünger, Fleischextrakt, Backpulver und eine erste Babynahrung entwickelte, in Gießen. Die Universität, die am 19. Mai vor 400 Jahren gegründet wurde, trägt heute seinen Namen.

Studenten aus aller Welt kommen noch immer nach Gießen. Und seit die Hochschule im vergangenen Jahr beim Exzellenz-Wettbewerb des Bundes glänzte, "hat Gießen wieder einen guten Ruf", sagt die Theologin Athina Lexutt. Das war nicht immer so. Die Universität erlebte viele Höhen und Tiefen. Das liegt auch an der ungewöhnlichen Tatsache, dass es im nur 25 Kilometer entfernten Marburg ebenfalls eine Hochschule gibt. Nähe und Konkurrenz prägen die beiden Unis bis heute.

Die Gießener Universität verdankt ihre Gründung im Jahr 1607 den Wirren der hessischen Geschichte. Landgraf Philipp, ein Anhänger Martin Luthers, hatte 1527 in Marburg die erste protestantische Universität in Deutschland gegründet. Nach seinem Tod zerfiel Hessen in vier Teile; der Norden wurde calvinistisch, der Rest des Landes blieb lutherisch geprägt. Die Marburger Professoren mussten sich zum Calvinismus bekennen.

Zwei Theologen flüchteten daraufhin ins benachbarte Gießen, wo sie eine lutherische "Gegen-Universität" mitgründeten - ein einmaliger Vorgang, wie die Leiterin des Gießener Universitätsarchivs, Eva-Marie Felschow, erklärt. "Man wollte zugleich lutherisch und Anti-Marburg sein. Die Professoren wurden deshalb auf das lutherische Bekenntnis verpflichtet", berichtet Felschow. Landgraf Ludwig von Hessen-Darmstadt eröffnete die lutherische Landesuniversität. Im Oktober begann der Lehrbetrieb.

Doch äußerlich glich die Gießener Universität sehr dem Marburger Vorbild. Jura, Medizin, Philosophie und die Theologie zur Ausbildung der Pfarrer zählten zu den ersten Fakultäten. In den Zeiten von Pest und Dreißigjährigem Krieg wurden die Nachbar-Unis zeitweise zusammengelegt. "Im 18. Jahrhundert war Gießen, wie viele andere kleine Landesuniversitäten auch, stark reformbedürftig", sagt Felschow.

Neue, moderne Studiengänge sollten jetzt Juristen für Staat und Verwaltung ausbilden. Doch das kleine Land Hessen-Darmstadt besaß kein Geld, um renommierte Professoren nach Gießen zu holen. Das änderte sich, als der erst 21-jährige Justus Liebig 1824 eine Professur für Chemie und Pharmazie erhielt. "Er sorgte dafür, dass auch ausländische Studierende nach Gießen kamen." Die Hochschule erlebte einen Boom, von dem Bürger und Stadt profitierten.

Klinikum und Veterinärmedizin entstanden. Bekannte Forscher wie der Physiker Wilhelm Conrad Röntgen, der Theologe Adolf von Harnack und der Altertumswissenschaftler Friedrich Gottlieb Welcker lehrten in Gießen. Die Blüte endete jäh im Nationalsozialismus. Die neuen Machthaber entließen einen Teil der Professoren aus politischen oder rassistischen Gründen. "Die Rektoren waren stramme Nazis, und im Zweiten Weltkrieg war ein Rassenhygieniker der Rektor", berichtet Felschow.

Runenforschung und "Rassenhygiene" zählten nun zu den gefragten  Fächern, während Medizin und Veterinärmedizin an Bedeutung verloren und die theologische Fakultät geschlossen wurde. Auch nach Kriegsende sah es düster aus. "Der US-amerikanische Universitätsoffizier fand kein Verhältnis zu Gießen und förderte die Fachwerkstädte Heidelberg und Marburg", sagt Felschow.

Die erste Regierung im neuen Bundesland zweifelte, ob Hessen sich Universitäten in Darmstadt, Frankfurt, Marburg und Gießen leisten könnte. Deshalb begann in Gießen der Lehrbetrieb zunächst nur in der Veterinärmedizin und der Agrarwissenschaft. Erst seit 1957 gibt es wieder eine Universität.

Die Evangelische Theologie, die den Anstoß zur Gründung gab, bildet heute keine Pfarrer mehr aus, sondern Religionslehrer. Das Institut arbeitet eng mit der Universität Frankfurt zusammen. "Gerade in den Geisteswissenschaften ist es nötig, auch andere Lehrer zu hören", kommentiert die Theologin Lexutt. Und das könne ja vielleicht ein Zukunftsmodell für andere Universitäten und Fächer sein.

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