Vögel: Zugunruhe durch Hormonrausch

(13.01.2023) Die weiten saisonalen Reisen von Zugvögeln sind ein bekanntes Phänomen. Doch welche hormonellen Vorgänge stecken dahinter?

Eine aktuelle Studie des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung der Veterinärmedizinischen Universität Wien identifiziert stark steigende Spiegel des Hormons Ghrelin als wesentlichen, auslösenden Faktor.

Den bisher vermuteten und in anderen Studien nachgewiesenen Zusammenhang mit dem Hormon Corticosteron konnte die soeben veröffentlichte Forschungsarbeit jedoch nicht bestätigen.

Vetmeduni Vienna

Zugvögel zeigen spektakuläre physiologische Anpassungen, um die Langstreckenflüge zwischen ihren Brut- und Überwinterungsgebieten zu bewältigen.

Als Hauptenergiequelle verwenden sie vor ihren Zugflügen aufgebaute Fettreserven. Sowohl bei in Gefangenschaft gehaltenen als auch bei frei lebenden Vögeln zeigt sich der Zugphänotyp – also das veränderte körperliche Erscheinungsbild – durch eine schnelle und deutliche Zunahme der Nahrungsaufnahme und Energiezufuhr sowie durch Änderungen der Nachtaktivität und ein unruhigeres Verhalten.

Zu den dafür verantwortlichen hormonellen Mechanismen gibt es bislang jedoch nur wenig gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse.

Hormon Ghrelin macht Wachteln fit für weite Flüge

Ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni prüfte deshalb nun anhand von Wachteln (Coturnix coturnix) die Hypothese, inwieweit das Hormon Corticosteron und das im Darm produzierte Hormon Ghrelin beim Vogelzug eine Rolle spielen.

Für ihren Versuch setzten die Forscher:innen Wachteln einer kontrollierten Änderung der Tageslänge aus, um einen Herbstzug gefolgt von einer Überwinterungsphase zu simulieren.

Danach verglich das Forschungsteam die Corticosteron- und Ghrelin-Konzentrationen und bewertete, ob diese beiden metabolischen Hormone zwischen den Migrationszuständen variieren.

„In Übereinstimmung mit unseren Annahmen fanden wir heraus, dass das Auftreten des Zugphänotyps mit höheren Konzentrationen von Ghrelin verbunden ist.

Außerdem korrelierte Ghrelin mit Veränderungen der Körpermasse der Vögel, und zwar sowohl bei der Vorbereitung auf ihren herbstlichen Zug als auch beim Eintreten in die Überwinterungsphase“, erklärt Studien-Erstautorin Valeria Marasco vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni.

Keine Korrelation von Corticosteron und Zugunruhe

Entgegen ihren Vorhersagen beobachteten die Forscher:innen allerdings keine Korrelation zwischen den im Blutkreislauf zirkulierenden Spiegeln von Ghrelin und Corticosteron.

Zudem konnten die Wissenschafter:innen beim Zugphänotyp keine erhöhten Corticosteron-Spiegel nachweisen.

„Auch mit Veränderungen der Körpermasse, der Nahrungsaufnahme oder der damit einhergehenden Zugunruhe – also dem unruhigen Verhalten der Vögel vor ihrem Herbstzug – zeigte Corticosteron keine statistisch relevante Korrelation“, so Studien-Letztautor Leonida Fusani, Leiter der Abteilung für Ornithologie am Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni.

Publikation

Der Artikel „Ghrelin, not corticosterone, is associated with transitioning of phenotypic states in a migratory Galliform“ von Valeria Marasco, Hiroyuki Kaiya, Gianni Pola und Leonida Fusani wurde in „frontiers“ veröffentlicht.



Weitere Meldungen

Universität Oxford

Aus Afrika kommende Teichrohrsänger nutzen das Magnetfeld der Erde, um ihre Nester zu finden

Die von mehr als 17.500 Vögeln gesammelten Daten haben gezeigt, dass Zugvögel wie der Teichrohrsänger anhand einer einzigen geomagnetischen Koordinate aus Tausenden von Kilometern Entfernung zu einem lokalen Nistplatz zurückkehren können
Weiterlesen

Schwarm Sanderlinge (Calidris alba); Bildquelle: Pablo F. Petracci

Je weiter Zugvögel fliegen, desto heller ist im Schnitt ihr Gefieder

Dies ist das Ergebnis einer Studie von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Seewiesen und Kollegen
Weiterlesen

Auch Stechpalmen (Ilex aquifolium) tragen Früchte, wenn Singdrosseln (Turdus philomelos) in Europa nordwärts fliegen und werden daher potenziell von ihnen in diese Richtung ausgebreitet; Bildquelle: David Chapman

Zugvögel helfen nur bestimmten Pflanzenarten in den Norden abzuwandern

Mit Hilfe von Zugvögeln in den Norden umziehen, wenn es im Süden durch den Klimawandel zu warm wird – eigentlich eine tolle Idee für wenig mobile Pflanzen
Weiterlesen

Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Brachvögel sind immer pünktlich

Ein Team vom Forschungs- und Technologiezentrum Westküste (FTZ) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) hat in einer neuen Studie mit Hightechgeräten die Zugwege und das Zugverhalten von Brachvögeln aus dem deutschen Wattenmeer entschlüsselt
Weiterlesen

Wachtel; Bildquelle: Gianni Pola

Zugvögel können ihre Brustmuskulatur gezielt vor oxidativem Stress zu schützen

Einem Schutzmechanismus von Zugvögeln ist nun ein europäisches Forschungsteam unter Leitung der Vetmeduni Vienna - Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung - auf die Spur gekommen
Weiterlesen

Rauchschwalben; Bildquelle: Ulf Pommer

Zugvögel: Klima bestimmt den Hinflug, aber nicht die Rückkehr

Warum nehmen Zugvögel die Strapazen eines mitunter langen Fluges auf sich? Während sie beim Flug ins Winterquartier ihren klimatischen Vorlieben folgen, ist das beim Rückflug in die sommerlichen Brutgebiete wohl nicht der Fall
Weiterlesen

Zugvögel fliegen immer früher nach Europa; Bildquelle: CISCA

Zugvögel fliegen immer früher nach Europa

Als Reaktion auf den Klimawandel verschiebt sich die Frühlingswanderung vieler Zugvögel immer weiter nach vorne
Weiterlesen

Eine Sojus-Kapsel nähert sich der ISS, im Vordergrund ist die stabförmige Icarus-Antenne zu sehen.; Bildquelle: Roskosmos

Icarus startet erstes globales Forschungsprojekt

Die wissenschaftliche Pilotphase des erdumspannenden Tierbeobachtungssystems beginnt
Weiterlesen