Ungewöhnliche Einblicke: Die Wüste Gobi aus den Augen eines Khulans

(20.06.2019) Ein internationales Forschungsteam unter dem Lead der Vetmeduni Vienna stattete deshalb einen im östlichen Teil der Wüste Gobi lebenden Wildesel – einen sogenannten Khulan – mit einem neuartigen Kamerahalsband aus.

Die nun veröffentlichten Ergebnisse des Forschungsprojekts sind vielversprechend: Neben einem deutlichen Erkenntnisgewinn für die Wissenschaft und den Artenschutz bietet die innovative Technologie auch der breiten Öffentlichkeit spannende neue Einblicke in die Lebensweise von Wildtieren.

Die Wüste Gobi im Süden der Mongolei ist weltweit eines der größten verbliebenen natürlichen Trockengebiete und beherbergt einen einzigartigen Bestand an freilebenden Huftieren. Das Ökosystem dieser Steppe ist jedoch gefährdet, falls der zunehmende menschliche Einfluss nicht sorgfältig geplant und reguliert wird.


Wildesel in der Wüste Gobi

Zu den gefährdeten Tierarten zählt beispielsweise die weltgrößte Population des asiatischen Wildesels (Equus hemionus; lokal „Khulan“ genannt), der von der Roten Liste der IUCN (International Union for Conservation of Nature; Internationale Union zur Bewahrung der Natur, auch bekannt als Weltnaturschutzunion) als „nahezu bedroht“ eingestuft wird.

Wichtige neue Erkenntnisse durch innovative Kameratechnologie

Einzelne Khulans durchstreifen Gebiete von Tausenden von Quadratkilometern, und das Ausmaß ihrer Wanderbewegungen gehört zu den größten, die für Landsäugetiere bekannt sind – was ihre wissenschaftliche Untersuchung besonders schwierig macht.

Um die Lebensweise und damit auch das aktuelle Gefährdungspotenzial der Khulans besser zu verstehen und auf dieser Grundlage mögliche Schutzstrategien zu entwickeln, brachte ein Forschungsteam aus Mitarbeitern der Vetmeduni Vienna, der Wildlife Conservation Society, der Mongolischen National Universität, und des Norwegischen Institut für Naturforschung nun ein neuartiges Kamerahalsband zum Einsatz.

Die Verwendung dieser innovativen Kameratechnologie an einer erwachsenen Khulan-Stute brachte über einen Zeitraum von einem Jahr ein umfangreiches Bildmaterial von mehreren tausend Bildern.

Dazu Studienleiterin Petra Kaczensky vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Vetmeduni Vienna und den Norwegischen Institut für Naturforschung: „Diese Khulan-Bilder lieferten uns wichtige neue Einblicke in den Alltag dieser Khulan-Stute und ihrer Artgenossen.

Dazu zählt beispielsweise das Verhalten der Khulans in der Nähe menschlicher Infrastruktur, wo und wann die Tiere zu großen Gruppen zusammenkommen, oder die Häufigkeit von Begegnungen mit halbnomadischen Hirten und ihrem Vieh.“ Außerdem ermöglichten die gewonnenen Bilddaten eine Einschätzung der Verfügbarkeit von Wasser zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten.

„Aufgrund des Erfolgs unseres Pilotprojekts könnte der Einsatz von Kamerahalsbändern bei Tieren in abgelegenen, sehr variablen Ökosystemen für Forschungs- und Erhaltungszwecke einen großen Mehrwert bringen“, so Sanchir Khaliun von der Mongolischen National Universität weiter.

Deutliche Vorteile gegenüber GPS-Technologie

Bereits bisher war es möglich, das Leben von Wildtieren mittels GPS-Technologie nahezu in Echtzeit nachzuverfolgen und wichtige, unverfälschte Umweltdaten aus dem natürlichen Habitat der Tiere zu erhalten. Die auf diese Weise erfassten Daten bergen jedoch das Risiko, dass wichtige Umweltvariablen oder Ereignisse in der Lebensgeschichte der Tiere nicht dokumentiert werden. Ein Umstand, der besonders wichtig ist bei Tieren mit großen nomadischen Bewegungen – wie den von den ForscherInnen untersuchten Khulanen.

Denn ihre Wanderbewegungen machen sie besonders anfällig für den Einfluss menschlicher Aktivitäten, besonders was die überlebensnotwendige regelmäßige Wasseraufnahme und das Angebot an Weideflächen angeht. Dazu Chris Walzer vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Vetmeduni Vienna und der Wildlife Conservation Society: „Mit der von uns angewendeten neuen Kameratechnologie lässt sich das Leben der Khulans deutlich besser verstehen.

Beispielsweise scheinen sich menschliche Aktivitäten auf das Verhalten von Khulans negativ auszuwirken und auch der Einfluss kleinräumiger Wetterereignisse auf das Wasserangebot und die damit verbundenen Wanderbewegungen lässt sich nun deutlich besser bestimmen, als es bisher möglich war.“

Großes Potenzial für Medien

Bilder von Kamerahalsbändern haben laut den AutorInnen der Studie auch für Bildmedien aller Art großes Potenzial, wie eine zunehmende Anzahl entsprechender Bilder in populärwissenschaftlichen Artikeln, Büchern und Dokumentarfilmen – etwa von National Geographic – eindrücklich zeigt.

Diese Bilder und Videos gewähren Einblicke in das geheime Leben der Tiere und ziehen dadurch die Aufmerksamkeit auf sich. „Vor diesem Hintergrund ist das neu entwickelte Kamerahalsband ein wichtiges Instrument, um Forschungsergebnisse für eine breite Öffentlichkeit anschaulich zu kommunizieren, attraktives Unterrichtsmaterial zu entwickeln und das Bewusstsein für Natur- und Umweltschutz zu schärfen“, so Petra Kaczensky.

Die AutorInnen der Studie haben deshalb einen Teil der mit dem Kamerahalsband gemachten Bilder verwendet, um ihre wissenschaftliche Veröffentlichung durch eine Version im beliebten StoryMap-Format zu ergänzen.

Publikation

Der Artikel „Through the eye of a Gobi khulan – Application of camera collars for ecological research of far-ranging species in remote and highly variable ecosystems“ von Petra Kaczensky, Sanchir Khaliun, John Payne, Bazartseren Boldgiv, Bayarbaatar Buuveibaatar und Chris Walzer wurde in PLOS ONE veröffentlicht.



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