Bei Gefahr orientieren sich Fische an der Reaktion des Schwarmes

(25.09.2019) Bei Gefahr reagieren Fischschwärme blitzschnell und rücken eng zusammen. Während das Verhalten von Individuen bei veränderten Umwelteinflüssen bereits gut erforscht ist, geben die Reaktionen von Schwärmen immer noch Rätsel auf.

Eine aktuelle Studie der Humboldt-Universität zu Berlin (HU), der Princeton University, der Arizona State University und des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie/Universität Konstanz zeigt, dass die Reaktionen von Fischen in einer Gruppe bei Gefahr fast vollständig durch die Anpassung des Schwarms bestimmt sind.

Wenn sich eine Bedrohung nähert, kommt es zu kollektiven Fluchtkaskaden, bei denen sich das Verhalten blitzartig durch den Schwarm ausbreitet. Die einzelnen Tiere im Schwarm rücken näher zusammen, werden aber nicht schreckhafter. Je enger die Tiere beieinander sind, desto schneller breiten sich soziale Informationen aus.


Golden Shiners

Dadurch wird auch die kollektive Reaktion stärker – ohne, dass der einzelne Fisch aufmerksamer sein muss. Die Ergebnisse der Forschung wurden jetzt in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht.

Bei den Experimenten, die in Princeton stattfanden, wurden Fische Schreckstoff ausgesetzt. Das ist ein Wirkstoff, der bei der Verletzung bestimmter Fischarten freigesetzt wird und anderen Fischen signalisiert, dass Gefahr droht.

„Schwarmintelligenz entsteht aus dem Zusammenspiel zwischen dem Verhalten einzelner Individuen und der dynamischen, veränderlichen Struktur des Schwarms“, erklärt Romanczuk, Leiter der Arbeitsgruppe „Kollektive Informationsverarbeitung“ am Institut für Biologie der HU, der gemeinsam mit Winnie Poel mathematische Modelle für kollektive Kaskaden bei Fischen formulierte. „Die Risikowahrnehmung wird quasi an die Schwarmstruktur ausgelagert.“

Kollektive Intelligenz auch für technische Entwicklungen nutzbar

Romanczuk ist Mitglied des gemeinsamen Exzellenzclusters „Science of Intelligence“ der HU, der Freien Universität Berlin, der Charité, der Universität Potsdam und dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin. Ziel ist die Erforschung von kollektiver Intelligenz.

Erkenntnisse, die beispielsweise durch die Analyse von Fischschwärmen gewonnen werden, sollen auch für technische Entwicklungen genutzt werden. „Sie könnten helfen, neuartige, intelligente Roboterschwärme zu entwickeln, die bei autonomen Aufgaben unter gefährlichen Umweltbedingungen zum Einsatz kommen – sei es im Katastrophenfall oder bei der Erkundung der Tiefsee“, erklärt Romanczuk.

Lebendige Einblicke in die Forschungsprojekte des Clusters wird ab 2020 die Ausstellung der HU im Humboldt Forum geben. Ein auf einen Vorhang projizierter Fischschwarms wird dort zeigen, wie die Tiere auf potentielle Bedrohungen reagieren.

Mit einem Joystick können Besucherinnen und Besucher außerdem einen Robo-Fisch, der von einem anderen künstlichen Fisch verfolgt wird, durch ein Aquarium lenken und so eine Vorstellung vom Schwarmverhalten bekommen.



Weitere Meldungen

Zebrabärblinge; Bildquelle: zhane luk – stock.adobe.com

Wie viele Fische machen einen Schwarm?

Auch Physiker interessieren sich für Fische – vor allem, wenn sie die Bildung von Strukturen erforschen
Weiterlesen

Die Körperhaltung von Tauben wird durch automatisierte Bilderkennung, rein aus Videoaufnahmen, erkannt; Bildquelle: Alex Chan

Tierverhalten im Schwarm zukünftig markerlos erforschen

Einen Datensatz zur automatischen Entschlüsselung des Verhaltens einzelner Vögel eines Schwarms haben Forschende des Exzellenzclusters Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour der Universität Konstanz entwickelt
Weiterlesen

Experiment für die Koordination von Schwärmen; Bildquelle: Dr. Xiangzun Wang

Schwarmintelligenz als Folge physikalischer Mechanismen

Scheinbar spontan koordiniertes Schwarmverhalten in großen Tierverbänden ist ein faszinierendes und auffälliges kollektives Phänomen
Weiterlesen

"Wir sind in der Lage, jedes einzelne Teilchen individuell anzusteuern und deren Bewegung an die der Nachbarn anzupassen." Chun-Jen Chen, Doktorand in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Clemens Bechinger, Universität Konstanz; Bildquelle: Dr. Elisabeth Böker

Wie Tierschwärme auf Gefahren reagieren

Konstanzer Physiker entschlüsseln mithilfe von Mikrorobotern, wie Tierkollektive effektiv auf Gefahren reagieren
Weiterlesen

Prof. Dr. Iain Couzin wird mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis 2022 ausgezeichnet; Bildquelle: Christian Ziegler/Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie

Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis für Iain Couzin

Auszeichnung für die Erforschung der „Regeln des Schwarms“: Der Verhaltensbiologe Prof. Dr. Iain Couzin von der Universität Konstanz erhält den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)
Weiterlesen

Schwarm im Bienenstock

Robotik nach dem Vorbild der Biene

Eine Forschergruppe aus Graz untersucht in einem vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekt das Verhalten junger Bienen unmittelbar nach dem Schlüpfen
Weiterlesen

Universität Konstanz

Wie Individualität das Gruppenverhalten von Fischschwärmen bestimmt

Forscher aus Konstanz und Cambridge ermitteln den Einfluss der „Persönlichkeit“ einzelner Schwarmtiere auf das kollektive Verhalten der Gruppe
Weiterlesen


Wissenschaft


Universitäten


Neuerscheinungen