Optobow: Pfade im Fischgehirn ausleuchten

(24.07.2017) Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie in Martinsried haben mit “Optobow” eine Methode entwickelt, die es ermöglicht, allein mittels Licht miteinander verbundene Nervenzellen im lebenden Gehirn zu entdecken.

Mit der nun in "Nature Communications" publizierten Optobow-Methode können einzelne Nervenzellen unter dem Mikroskop aktiviert werden; das Aufleuchten benachbarter Zellen zeigt dann den Weg des Informationsflusses.

Selbst im Dickicht des Nervensystems werden Form und Verbindungen der Zellen sichtbar. Funktionelle Schaltkreise und die beteiligten Zelltypen können nun im lebenden Gehirn untersucht werden.


Forscher können einzelne Nervenzellen im Zebrafischgehirn mit Licht aktivieren (magenta) und beobachten, welche benachbarten Zellen mit der Zelle im gleichen Schaltkreis verbunden sind (gelb).

Moderne Methoden geben immer detailliertere Einblicke in den Aufbau und die Funktionen des Gehirns. Durch das Mikroskop zeigt sich, wann und wo Nervenzellen bei einer bestimmten Aktion aktiv sind.

Ob die aktiven Zellen jedoch untereinander verbunden sind, oder in welcher Reihenfolge sie Informationen austauschen, bleibt dabei meist unsichtbar. Solche Informationen konnten bisher nur teilweise und mit großem Aufwand mit Methoden der Elektrophysiologie oder der Elektronenmikroskopie gewonnen werden.

In der Elektrophysiologie wird die Aktivität benachbarter Zellen mit Hilfe hauchdünner Nadeln gemessen.

Dies ist jedoch in sehr dichtem oder tiefem Hirngewebe kaum möglich und lange Verbindungswege können nur schwierig nachvollzogen werden. Zudem können nur Impulse von wenigen Zellen gleichzeitig gemessen werden.

Bei modernen Elektronenmikroskopie-Verfahren (Konnektomik) werden in einem präparierten Gehirn alle Nervenzellen und ihre Verbindungen Schicht für Schicht von einem Rasterelektronenmikroskop erfasst und dann am Computer rekonstruiert.

So werden zwar Zellverbindungen sichtbar, die dynamische Informationsweitergabe eines lebenden Gehirns bleibt dabei jedoch verborgen. Beide Ansätze haben somit deutliche Limitierungen.

„Wir haben nach einem Weg gesucht, um die Verbindungen und Informationsweitergabe von Nervenzellen im aktiven Gehirn beobachten zu können, ohne das Gehirn zu schädigen, ja, es nicht einmal zu berühren“, erklärt Dominique Förster.

Mit dieser Motivation entwickelten Förster und seine Kollegen aus der Abteilung von Herwig Baier am Max-Planck-Institut für Neurobiologie die Optobow-Methode.

Farbmarkierungen für aktive Zellen

Mit Hilfe gentechnischer Verfahren schleusten die Forscher den lichtempfindlichen "ChrimsonR"-Ionenkanal in einzelne Nervenzellen im Gehirn von Zebrafischlarven ein.

Die Nervenzellen in der Umgebung dieser ChrimsonR-Zellen brachten die Wissenschaftler dazu, "GCaMP6", einen sogenannten Kalzium-Indikator, zu produzieren.

An GCaMP6 gekoppelt war wiederum ein hellfluoreszierendes Protein, mit dem die Forscher die Form der Nervenzelle einschließlich ihrer feinen Verästelungen und Synapsen sichtbar machen konnten.

„Das klingt erst einmal kompliziert, und die Entwicklung hat auch einiges an Zeit gekostet – aber das Ergebnis ist beeindruckend“, freut sich Dominique Förster über die neue Methode.

Da Zebrafischlarven und auch ihr Gehirn durchsichtig sind, konnten die Max-Planck-Forscher die ChrimsonR-Zellen allein durch das Anstrahlen der Fische mit Licht aktivieren.

Dass das Licht dabei gezielt auf einzelne Nervenzellen auch tief im Gehirn traf, war erst durch eine fast zeitgleich von Labor-Kollegen entwickelte zweite Methode möglich.

Die Forscher konnten somit einzelne ChrimsonR-Zellen im lebenden Fischgehirn durch Licht aktivieren. Löste die ChrimsonR-Zelle ein Aktionspotential in einer Nachbarzelle aus, reagierte dort der Kalzium-Indikator auf den damit verbundenen Ionen-Einstrom und das fluoreszierende Protein ließ die Zelle farblich aus der Masse hervortreten.

So konnten die Wissenschaftler live unter dem Mikroskop beobachten, welche Nervenzelltypen wann und wo nach Aktivierung der Ausgangszelle aktiviert wurden.

Neue Methode mit großem Potential

Wie nützlich die neue Methode ist, konnten die Forscher bereits in ihren ersten Versuchen belegen: Im untersuchten Bereich des Zebrafischgehirns konnten sie zeigen, dass eine Information als Abbild in dem Gehirnbereich bleibt, bevor sie an andere Bereiche weitergeleitet wird.

„Ich wüsste nicht, mit welcher anderen lichtmikroskopischen Methode wir diese Verbindung hätten entdecken können“, freut sich auch Herwig Baier, der Leiter der Studie.

„Mit Optobow können wir nun erstmals im Gehirn eines lebenden, aktiven Tiers beobachten, welche Nervenzellen untereinander verschaltet sind, wenn zum Beispiel ein Verhaltenskommando im Gehirn generiert wird.“

Optobow sollte das Identifizieren der zellulären Komponenten neuronaler Schaltkreise und auch das Verständnis ihrer Funktion deutlich vorantreiben und dadurch Elektrophysiologie und Konnektomik ergänzen.

Auch dynamische Veränderungen in den Zellverbindungen, wie zum Beispiel während des Lernens und der Entwicklung, können nun leichter erforscht werden.

Publikation

Dominique Förster, Marco Dal Maschio, Eva Laurell, Herwig Baier
An optogenetic toolbox for unbiased discovery of functionally connected cells in neural circuits
Nature Communications, online am 24. Juli 2017


Weitere Meldungen

Zieht ein Bild der Umwelt an den Augen vorbei, halten Zebrafische mit Schwimmbewegungen ihre Position. Neurobiologinnen zeigen, über welche Nervenzellbahnen dieses Verhalten koordiniert wird.; Bildquelle: MPI für Neurobiologie, Julia Kuhl

Das Gehirn im Fluss: Nervenzellen im Prätektum berechnen großflächige Bewegungen

Wir sehen mit dem Gehirn – die Augen liefern die Informationen. Doch, wie berechnen die Nervenzellen das Gesehene?
Weiterlesen

Hansjörg Scherberger; Bildquelle: Karin Tilch

Deutsches Primatenzentrum richtet Abteilung Neurobiologie ein

Aus der zeitlich befristeten Forschergruppe Neurobiologie von Hansjörg Scherberger wird die neunte permanente Abteilung des Deutschen Primatenzentrums
Weiterlesen

Schützenfische; Bildquelle: Lehrstuhl für Tierphysiologie, Universität Bayreuth

Auf der Jagd nach Beute: blitzschnell und pünktlich am richtigen Ort

Die Fähigkeit, auf der Jagd nach Beute zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, ist im Tierreich überlebenswichtig. Sie beruht auf neuronalen Netzwerken, die Sinneseindrücke, die Auswahl von Handlungsoptionen und motorische Bewegungen präzise aufeinander abstimmen
Weiterlesen

Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie

Wie das Nervensystem Verhalten erzeugt, steuert und sinnvoll einsetzt

Neurobiologen am Wiener Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie untersuchen am Fortpflanzungsritual der Fliege, wie das Nervensystem Verhalten erzeugt, steuert und sinnvoll einsetzt
Weiterlesen

Vogelgesangs-Konferenz

Neueste Erkenntnisse in der Vogelgesangs-Forschung

Welche besonderen Parallelen bestehen zwischen den Lernleistungen der Vögel und denen des Menschen oder anderer Säugetiere, etwa der Delfine und der nicht-menschlichen Primaten? Fragen wie diese sind Thema einer internationalen Vogelgesangs-Konferenz, die am 11. und 12. August 2006 von der Freien Universität Berlin veranstaltet wird
Weiterlesen

Nachbarschaftshilfe im Gehirn

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für experimentelle Medizin klären die Funktion von Cholesterin in den Myelinmembranen der Nervenfasern. Welche Funktion übt Cholesterin in den Myelinmembranen aus? Dieser Frage sind jetzt Forscher vom Göttinger Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin nachgegangen. Myelin umhüllt als dicht gepackter Membranstapel Nervenfasern und bewirkt so deren elektrische Isolation
Weiterlesen

Perfektes Bewegungssehen bei rasanten Fliegen

Anhand von Computersimulationen entdecken Max-Planck-Forscher die rasche Anpassung von Nervenzellen im Fliegenhirn. Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried bei München haben sich darauf spezialisiert, die Verschaltungen von Nervenzellen in Computer-Modellen zu simulieren und am einfachen Sehzentrum der Schmeißfliege "in natura" zu überprüfen. Gemeinsam mit Haim Sompolinsky von der Hebräischen Universität in Jerusalem haben Alexander Borst und Virginia Flanagin nun erstmals entdeckt, dass die extrem schnelle Anpassung (Adaptation) der Nervenzellen des Sehzentrums ein wichtiger Mechanismus des Bewegungssehens ist
Weiterlesen


Wissenschaft


Universitäten


Neuerscheinungen