Der Ostseeschnäpel vor dem Comeback

(07.11.2014) Dummerstorfer Nachwuchsforscher legen erste grundlegende molekularbiologische Analyse des Ostseeschnäpels vor

Die Nachwuchsforschergruppe „Fischgenetik“ am Leibniz-Institut für Nutztierbiologie hat im Rahmen des Projektes „Biotechnologische Analysen zum Nachweis der Eignung des Ostseeschnäpels für eine nachhaltige regionale Aquakultur“ unter Leitung von Dr. Alexander Rebl erstmals eine kompakte molekularbiologische Analyse des Ostseeschnäpels, auch Steinlachs oder Große Maräne genannt, vorgelegt.


Dr. Alexander Rebl (35, v. li.), Mareen Nipkow (28) mit dem Ostseeschnäpel und Abteilungsleiter PD Dr. Tom Goldammer (49).
„Der Fisch ist hervorragend für die heimische Aquakultur geeignet. Einem Comeback des schmackhaften und gesunden Edelfisches steht nichts im Wege“, sagte Dr. Alexander Rebl. In den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gehörte der Ostseeschnäpel zu den beliebtesten Fischen der gehobenen Gastronomie, insbesondere in Frankreich. Das Landwirtschaftsministerium MV hat das Projekt mit 650.000 Euro gefördert.

Das Dummerstorfer Forschungsinstitut wurde in enger Kooperation mit der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei MV in Rostock (LFA) beauftragt, die genetischen, molekularbiologischen und immunologischen Parameter des Ostseeschnäpels zu untersuchen. Bislang lagen dazu kaum Erkenntnisse vor.

„Wie reagieren die Fische auf Stress, unterschiedliche Besatzdichte in den Gewässern, was hält sie vital und gesund und welche erblichen Grundlagen wirken sich auf die Zucht aus? Das sind nur einige von vielen Aspekten für eine erfolgreiche und vor allem wirtschaftliche Aquakultur“, so der Biologe. Das Ziel ist ein stabiler und reproduzierbarer Produktionszyklus für die Schnäpelaufzucht.

Fast von der Bildfläche verschwunden

Der Ostseeschnäpel stand durch die Verschmutzung der Randgebiete der Ostsee, wie Oderhaff und Boddengewässer, in den 70er und 80er Jahren kurz vor dem Aussterben und konnte sich durch von Bund und Land geförderte Nachzuchtprogramme erst in den letzten Jahren wieder etwas erholen.


Mareen Nipkow aus der Forschernachwuchsgruppe "Fischgenetik" analysiert am LightCycler das Ausmaß der Genaktivierung.
Der früher in der Vorpommerschen Boddenküste üppig vorhandene Ostseeschnäpel ist jedoch trotz wiederholter Auswilderungen stark gefährdet, da viele der natürlichen Laichgebiete nicht mehr existieren. Ein glücklicher Umstand kommt dem schmackhaften Ostseefisch jedoch zugute. Er kann auch im Süßwasser leben und gezüchtet werden.

Die Landesforschungsanstalt Mecklenburg-Vorpommern beschäftigt sich seit einiger Zeit erfolgreich mit der technologischen Entwicklung der ersten Aquakulturanlage des Ostseeschnäpels in den Aufzuchtteichen in Friedrichsruhe/Frauenmark im Landkreis Ludwigslust-Parchim. Die Ostseeschnäpelzucht der dortigen BiMES - Binnenfischerei GmbH aus Leezen ist die Grundlage für die wissenschaftlichen Untersuchungen (bimes.de).

Alle Versuche zu Haltungsbedingungen von Zuchtschnäpeln finden in der Versuchsstation Born der LFA statt, während die molekularbiologischen Analysen in den Laboren des FBN erfolgen. Weitere Standorte für das vom Land MV geförderte Aufzuchtprogramm für bis zu 1,5 Mio. Schnäpel befinden sich in Boek und Hohen Wangelin im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte.

„Letzten Endes dienen die Ergebnisse beider Projekte der Etablierung standortgerechter Schnäpelzuchtlinien, die sich durch genetisch manifestierte Vorteile in produktionsrelevanten Merkmalen gegenüber Vergleichslinien auszeichnen sollen. Das ist die Voraussetzung für die wirtschaftlich ertragreiche Erzeugung hochwertiger Fischprodukte in M-V“, unterstrich Rebl. Darüber hinaus werden zur Stärkung der natürlichen Population an der südlichen Ostsee vor Usedom weiterhin Schnäpel für die Auswilderung gezüchtet.

„Sensibler“ als die Regenbogenforelle

Für die ersten Testreihen wurden noch Wildfische verwendet. Die aktuellen Experimente werden an Zuchtfischen unter standardisierten Bedingungen durchgeführt. Molekulargenetische Vergleiche mit regional frei lebenden Schnäpeln sollen aber auch künftig vorgenommen werden.

„Damit können wir genetische Veränderungen der Aquakulturfische zum Wildfisch charakterisieren und Zuchtfortschritte besser einschätzen“, erläuterte der Wissenschaftler.

Es gibt bisher nur wenige aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen zur Biologie, Reproduktion, Aufzucht und Haltung des Ostseeschnäpels. Auch zum Einfluss äußerer Stressfaktoren wie Räuber, Klima und Krankheiten, die wichtige Produktionsmerkmale der Fische negativ beeinträchtigen können, gibt es kaum Analysen.

Während die Landesforschungsanstalt sehr praxisnah Parameter wie das Verlustgeschehen oder Tiergröße und Schlachtgewicht erfasst und in Beziehung zu Störgrößen setzt, konzentrieren sich die wissenschaftlichen Studien am FBN vor allem auf molekularbiologische Prozesse in den Zellen der Schnäpel, die eine Minimierung von Größe und Schlachtgewicht hervorrufen könnten.

Darüber hinaus geht es um wirksame Mittel, um Keime abzuwehren und das Immunsystem der Tiere zu stärken, die Entwicklung von Impfstoffen und einfache Geschlechtertests für die Speisefischproduktion.

Ein wichtiger Schwerpunkt liegt in der Entschlüsselung der Erbinformation des Schnäpels als Basis für tiefergehende Untersuchungen. Ausgehend von den Daten der Stressversuche werden beispielsweise Gene gesucht, welche bei erhöhter Haltungsdichte besonders stark aktiviert werden. Diese sogenannten „Markergene“ könnten letztendlich die Grundlage für ein schnelles Testsystem sein, das anzeigt, wie es um das Wohlbefinden von Zuchtfischen steht, ob möglicherweise Krankheiten oder zu hohe Besatzungsdichten vorliegen.

„Das Projekt läuft noch ein weiteres Jahr. Bisher zeigen unsere molekularbiologischen Untersuchungen und die Beobachtungen der LFA, dass Schnäpel zwar hervorragend zur Aquakultur geeignet sind, aber noch empfindlicher auf sich ändernde Umweltbedingungen reagieren als die bereits gut erforschten Regenbogenforellen. Obwohl beide Arten zur Familie der Lachsfische gehören, müssen die Umstände der Haltung entsprechend angepasst werden, um optimale Produktionserfolge zu erzielen“, zog der Projektleiter ein erstes Fazit.

Nachwuchsgruppen forschen zu Spitzenthemen

Die eigenständig arbeitenden und forschenden Nachwuchsgruppen am FBN sind besonders für junge Wissenschaftler sehr attraktiv. Die erste Nachwuchsgruppe der Abteilung „Fischgenomik“ startete vor fünf Jahren mit Untersuchungen zu „Mechanismen der Krankheitsabwehr bei Aquakulturfischen“.

Zur Nachwuchsgruppe von Dr. Alexander Rebl (35), die später auch das Schnäpel-Projekt initiierte, gehörten Dr. Simone Altmann, Dr. Judith Köbis und die Biologin Mareen Nipkow und Franziska Kuntke. Betreut wurde die Gruppe von PD Dr. Tom Goldammer als Mentor.

Den Leitern der bisher acht exzellent ausgestatteten Nachwuchsgruppen (NG) am FBN werden weitere junge Wissenschaftler sowie zusätzliche Gelder für Sachmittel zur Verfügung gestellt und eine langfristige Perspektive am Institut ermöglicht.

Aktuell gibt es fünf neue Arbeitsgruppen zu international bedeutsamen Spitzenthemen am FBN, die alle von jungen Forscherinnen geleitet werden (NG Genomische Datenanalyse, Dr. Dörte Wittenburg, NG Affektives Verhalten, Dr. Sandra Düpjan, NG Pathogen- und Zelltyp-spezifische Immunabwehr beim Wiederkäuer, Dr. Juliane Günther, NG Phänotypisierung des Tierwohls, Dr. Silke Trißl, NG Zellulärer Lipidmetabolismus, Dr. Beate Hiller).

Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 86 selbständige Forschungseinrichtungen. Deren Ausrichtung reicht von den Natur, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute bearbeiten gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevante Fragestellungen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Grundlagenforschung. Sie unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an.

Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer in Richtung Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Institute pflegen intensive Kooperationen mit den Hochschulen, u. a. in Form der Wissenschaftscampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland.

Sie unterliegen einem maßstabsetzenden transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 16.500 Personen, darunter 7.700 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei 1,4 Milliarden Euro.

www.lfamv.de



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