Von wegen „Spatzenhirn“: Wie Nervenzellen schlaues Verhalten bei Rabenvögeln ermöglichen

(28.11.2013) Von wegen „Spatzenhirn“: Rabenvögel wie Krähen, Elstern und Häher gelten als äußerst intelligent. Die Neurobiologen Lena Veit und Professor Andreas Nieder der Universität Tübingen haben nun erstmals gezeigt, wie im Gehirn von Krähen Intelligenzleistungen hervorgebracht werden, die für strategische Entscheidungen notwendig sind.

Ihre Ergebnisse werden am 28. November im Fachmagazin Nature Communications veröffentlicht.

Als „Spatzenhirn“ titulieren wir einen Dummkopf. Dieser Vergleich ist unzutreffend, denn Rabenvögel wie Krähen, Elstern und Häher sind alles andere als dumm. Schon in Sagen und Mythen wird Rabenvögeln, die auch zu den Sperlingsvögeln gehören, besondere Schläue zugeschrieben.

Verhaltensbiologen nennen sie aufgrund ihrer Intelligenz gar „gefiederte Primaten“, denn sie fertigen und gebrauchen Werkzeuge, können sich eine Unmenge an Futterplätzen merken und planen ihr Sozialverhalten, indem sie die Handlungen anderer Gruppenmitglieder mit einbeziehen. Dieses hohe Maß an Intelligenz mag überraschen, denn die Gehirne dieser Tiere sind grundsätzlich anders aufgebaut als die von Primaten und anderen Säugetieren, an denen solche Aufgaben üblicherweise untersucht werden.

Die Tübinger Wissenschaftler erforschten nun erstmals hirnphysiologischen Grundlagen dieses intelligenten Verhaltens. Dafür trainierten sie Rabenkrähen, Gedächtnisaufgaben am Computer zu lösen. Die Krähen bekamen ein Musterbild präsentiert, mussten sich dieses merken, und kurz darauf eines von zwei gezeigten Testbildern mit dem Schnabel auf einem Touchscreen auswählen. Eines der beiden Testbilder war identisch mit dem zuvor gemerkten Musterbild, das andere verschieden.

Ob das gleiche („gleich-Regel“) oder ungleiche Testbild („ungleich-Regel“) die richtige Lösung war, wurde den Krähen in jedem Versuchsdurchlauf durch einen Hinweisreiz neu angezeigt. Je nach Regel mussten die Tiere also die Aufgabe blitzschnell wechseln. Das erfordert höchste Konzentration und eine geistige Flexibilität, die bei weitem nicht alle Tierarten aufbringen können und die selbst für Menschen eine Herausforderung ist.

Die Krähen meisterten diese schwierige Aufgabe bald selbst mit völlig neuen Musterbildern. Dabei beobachteten die Wissenschaftler in einem umgrenzten Hirngebiet der Krähen Nervenzellen mit erstaunlichen Eigenschaften.

Die eine Gruppe der Nervenzellen antwortete ausschließlich und immer dann, wenn die Krähe die „gleich-Regel“ anwenden musste, während eine andere Gruppe von Nervenzellen immer nur bei der „ungleich-Regel“ aktiv war. Anhand der Regelzellen war oft vorherzusehen, welche Regel die Krähen befolgen würden, noch bevor sie die Auswahl trafen.

Mit der in der Fachzeitschrift Nature Communications vorgestellten Arbeit ergeben sich wertvolle Einblicke, wie im Lauf der Evolution intelligentes Verhalten mehrmals unabhängig voneinander hervorgebracht und hirnorganisch verwirklicht wurde. „Bei Vögeln sind viele Funktionen anders verwirklicht, uns trennt eine sehr lange evolutionäre Entwicklung von diesen direkten Nachfahren der Dinosaurier“, sagt Lena Veit.

„Wir können also im Gehirn der Vögel eine alternative Lösung dafür finden, wie mit verschiedenen anatomischen Voraussetzungen die gleichen Intelligenzleistungen hervorgebracht werden können.“ Trotz der Unterschiede im Gehirn sind sich die Regelzellen bei Krähen und Primaten zum Verwechseln ähnlich ‒ sie deuten also auf ein allgemeines Prinzip hin, das sich im Laufe der Evolution immer wieder bewährt hat.

„So wie man durch den Vergleich der grundsätzlich verschieden aufgebauten Flügel von Vögeln und Fledermäusen allgemeine Prinzipien der Aerodynamik ableiten kann, so können wir auch durch die Untersuchung der funktionalen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der entsprechenden Areale des Vogel- und Säugergehirns auf allgemeine Prinzipien der Funktionsweise des Gehirns schließen“, erläutert Professor Andreas Nieder.

Originalveröffentlichung

Lena Veit & Andreas Nieder: Abstract rule neurons in the endbrain support intelligent behaviour in corvid songbirds. Nature Communications ; DOI: 10.1038/ncomms3878.



Weitere Meldungen

Herausbildung einer synanthropischen Nische für Raben und andere Tiere in der unmittelbaren Nachbarschaft zu eiszeitlichen Menschen vor ca. 30.000 Jahren; Bildquelle: Chris Baumann

Raben wurden schon vor mehr als 30.000 Jahren von der menschlichen Nahrung angezogen

Team der Universität Tübingen und des Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment erforscht altsteinzeitliche Beziehungen von Mensch und Rabe
Weiterlesen

Der Rabe und der schlechte Leumund

Der Rabe und der schlechte Leumund

Verblüffendes aus dem Reich der Tiere - von Josef Schöchl: In dieser Sammlung finden sich aber auch Tiere als wandelnde Apotheke, deren Ausscheidungen als Parfum für den Menschen oder gar als Genussmittel dienen
Weiterlesen

Universität Tübingen

Universität Tübingen steht zu Forschung an Krähenvögeln

Grundlagenforschung untersucht Vorgänge im Gehirn – Sämtliche Versuche nach umfassenden Prüfungen behördlich genehmigt
Weiterlesen

An der Uni Osnabrück und dem Max-Planck-Institut für Ornithologie wurde die Intelligenz von Rabenvögeln untersucht. Sie zeigten kognitive Leistungen wie Menschenaffen; Bildquelle: WascherC/Universität Osnabrück

Rabenvögel ziehen beim Hütchenspiel mit Menschenaffen gleich

Dass Rabenvögel erstaunlich schlau sind, weiß eigentlich jedes Kind. Bis jetzt hatten Forscher jedoch nur Einzelaspekte der kognitiven Fähigkeiten von Rabenvögeln untersucht und kaum etwas war über die kognitive Entwicklung bekannt
Weiterlesen

Elstern; Bildquelle: Lisa Horn

Sozialleben der Tiere entscheidend für ihre Großzügigkeit

Der Blick auf die Großzügigkeit von Rabenvögeln macht Parallelen zur menschlichen Evolution sichtbar. Auch bei Raben, Krähen, Elstern und Co. führen gemeinschaftliche Jungenaufzucht und erhöhte Toleranz gegenüber Artgenossen zur Entstehung von großzügigem Verhalten
Weiterlesen

Rabe; Bildquelle: Universität Wien

Raben lassen sich von den Emotionen eines frustrierten Artgenossen anstecken

Für ein erfolgreiches Miteinander in sozialen Gruppen sind Informationen über die Emotionen der Artgenossen entscheidend
Weiterlesen

Ludwig-Maximilians-Universität München

Entstehung von Arten - Bei Krähen kommt es auf die Farbe an

Raben- und Nebelkrähen unterscheiden sich genetisch kaum und können sogar gemeinsame Nachkommen haben. Trotzdem bleiben die Populationen getrennt – weil die Farbe bei der Partnerwahl eine Rolle spielt, wie LMU-Evolutionsbiologen berichten
Weiterlesen

Geradschnabelkrähe mit einem Stab als Werkzeug; Bildquelle: Auguste von Bayern

Krähen stellen Werkzeuge aus mehreren Komponenten her

Die Krähen können Probleme schnell und flexibel lösen. Welche Vorgänge dabei im Gehirn ablaufen, ist jedoch noch unklar
Weiterlesen


Wissenschaft


Universitäten


Neuerscheinungen