Neue Studie zeigt die Ausbreitungsmuster des Waschbären in Deutschland und Europa
Ein Frankfurter Forschungsteam hat Jagddaten aus zwei Jahrzehnten und 398 deutschen Landkreisen wissenschaftlich ausgewertet.
Ziel der Untersuchung war es, die verschiedenen Invasionsstadien des ursprünglich aus Nordamerika stammenden Waschbären in Deutschland zu identifizieren. Die Studie zeigt, dass Waschbären während ihrer Ausbreitung in Deutschland verschiedene Etappen durchlaufen – von ersten Vorkommen über starkes Wachstum bis zur Stabilisierung.
Besonders viele der maskierten Raubtiere gibt es in Nordhessen und Nordostbrandenburg, wo deren Ausbreitung aber mittlerweile stagniert. In anderen Regionen, wie im Südwesten Deutschlands, steckt die Verbreitung noch in den Anfängen.
Der weltweite Wandel führt dazu, dass sich die Zusammensetzung von Tier- und Pflanzenarten in vielen Lebensräumen stark verändert. Dabei spielen invasive, gebietsfremde Arten wie Nilgänse, Marderhunde, Nutrias oder Waschbären eine ernstzunehmende Rolle beim Rückgang der Artenvielfalt.

In Deutschland streifen mittlerweile mehr Waschbären durch Wälder und Städte als in jedem anderen Land außerhalb ihres ursprünglichen Verbreitungsgebietes.
„Ursprünglich stammen Waschbären (Procyon lotor) aus Nordamerika, mittlerweile gibt es Schätzungen zu folge zwischen 1,6 und 2 Millionen der maskierten Säugetiere in der Bundesrepublik“, erklärt Prof. Dr. Sven Klimpel vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum und der Goethe-Universität Frankfurt und fährt fort: „Diese invasive Art breitet sich seit Jahrzehnten kontinuierlich in Deutschland und von hier aus über ganz Europa aus – in unserer neuen Studie haben wir diese Ausbreitung räumlich und zeitlich eingeordnet.
Unser Ziel ist es, durch ein umfassendes Verständnis der Populationsdynamik im Invasionsprozess einen erfolgreichen und nachhaltigen Umgang mit invasiven Arten, wie dem Waschbären, zu erreichen.“
Hinzu kommt, dass die wirtschaftlichen Folgen invasiver, gebietsfremder Arten immer deutlicher werden – etwa durch Schäden oder aufwändige Gegenmaßnahmen, besonders in der Landwirtschaft und im Gesundheitswesen.
„Die Verbesserung unseres Verständnisses der räumlichen und zeitlichen Dynamik der Ausbreitung dieser Arten und ihrer Triebkräfte ist daher notwendig. Um effektive Gegenmaßnahmen zu entwickeln ist die Bewertung des früheren, aktuellen und zukünftigen Stadiums des Invasionsprozesses von zentraler Bedeutung, da die empfohlenen Maßnahmen und ihre Erfolgschancen maßgeblich von der jeweiligen Situation abhängen“, so Klimpel.
Denn ob sich eine Tierart in einem neuen Gebiet dauerhaft etablieren kann, hängt zunächst von den vorherrschenden Umweltbedingungen ab.
Stimmen diese mit den Lebensansprüchen der Art im Ursprungsgebiet überein, ist eine Ansiedlung möglich. Ebenso entscheidend sind biologische Wechselwirkungen mit anderen Arten – insbesondere in der frühen Phase, wenn die Population der eingeschleppten Tierart noch klein ist.
Günstige Bedingungen, eine ausgeprägte Konkurrenzfähigkeit, wiederholte Einführungen und eine ausreichende Ressourcenverfügbarkeit können dagegen eine rasche Ausbreitung begünstigen.
„Beim Waschbären treffen all diese Faktoren zu: Er verfügt über eine breite ökologische Nische, ist als anpassungsfähiger Allesfresser äußerst flexibel und fühlt sich auch in siedlungsnahen Gebieten wohl.
Dadurch kann er mit heimischen Arten in Konkurrenz treten und diese sogar nachhaltig verdrängen – dies ist heute beispielsweise schon bei Amphibien und Reptilien zu beobachten.
Dennoch fehlten bislang systematische Methoden, um die räumliche Verbreitung des Waschbären flächendeckend und vergleichbar zu erfassen – genau hier setzt unsere Studie an“, erläutert der Frankfurter Wissenschaftler.
Für die Untersuchung der Waschbär-Ausbreitung in Deutschland wertete das Forschungsteam rund um Erstautorin Dr. Sarah Cunze von der Goethe-Universität Frankfurt Jagdstatistiken aus 21 Jahren und 398 deutschen Landkreisen aus.
Diese Daten werden regelmäßig von den zuständigen Behörden erfasst und gelten als zuverlässiger Indikator für langfristige Veränderungen bei Wildtierbeständen. Neben den offiziell erlegten Tieren berücksichtigte die Analyse auch angezeigte Unfalltiere und Meldungen aus dem Forschungsprojekt ZOWIAC.
„Es zeigt sich, dass Waschbären während ihrer Ausbreitung verschiedene Phasen durchlaufen – von ersten Sichtungen über rasches Wachstum bis hin zur Stabilisierung auf hohem Niveau. Unsere neu entwickelte Methode ermöglicht es erstmals, diese Ausbreitungsphasen auf regionaler Ebene präzise zu erfassen“, legt Cunze dar.
Die Analyse zeigt, dass die anfänglichen „Hotspots“ der Ausbreitung in Nordhessen (z.B. in Kassel) und in Nordost-Brandenburg lagen. Die Daten decken sich mit bekannten historischen Ereignissen: 1934 wurden zwei Waschbär-Zuchtpaare in der Nähe des Edersees in Nordhessen für Jagdzwecke freigelassen.
Vermutlich kamen im Laufe der Zeit weitere absichtliche oder unbeabsichtigte Freisetzungen hinzu, die es ermöglichten, dass sich dort frühzeitig eine stabile Population etablieren konnte. Eine zweite Gründerpopulation in Brandenburg geht auf 25 Tiere zurück, die 1945 aus einer Pelztierfarm in Wolfshagen entkamen.
„In diesen Regionen befindet sich die Ausbreitung der vorwiegend dämmerungs- und nachtaktiven Raubtiere in einer späten Phase der Invasion, in denen das Populationswachstum allmählich eine Sättigung erreicht oder sich bereits auf hohem Niveau stabilisiert hat und nur noch natürlichen Schwankungen unterliegt.
In anderen Teilen Deutschlands, insbesondere im Südwesten, befindet sich der Waschbär dagegen noch in einer frühen Expansionsphase“, fügt Cunze hinzu.
Laut den Forschenden sind Jagddaten ein effektives Werkzeug, um die Ausbreitung invasiver Arten wie des Waschbären besser zu verstehen. Durch die Verknüpfung von zeitlichen Trends mit der räumlichen Ausbreitung gibt dieser Ansatz Einblicke in die Sättigung von Populationen in bereits etablierten Gebieten und zeigt gleichzeitig die laufende Ausbreitung in angrenzenden Regionen auf.
Diese Methode sei somit ein praktisches Instrument zur Bewertung von Invasionsprozessen und unterstütze gezielte Managementstrategien in verschiedenen Stadien der Etablierung, heißt es in der Studie.
„Ein besseres Verständnis der phasenabhängigen Entwicklung der Waschbärpopulationen schafft die Grundlage für wirksamere Kontrollmaßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung und zur Verringerung ökologischer Schäden“, fasst Klimpel zusammen.
„Die Methode bietet einen praktischen Rahmen für die Bewertung der Invasionsdynamik und kann auf andere invasive und gebietsfremde Tiergruppen und benachbarte Länder übertragen werden. Unsere Studie trägt somit zu einem tieferen Verständnis von biologischen Invasionen bei und liefert wertvolle Erkenntnisse für eine effektivere Naturschutzplanung.“
Publikation
Cunze S., Schneider G., Peter N., Klimpel S. (2025) Linking patterns to processes: Using hunting bag data to classify raccoon (Procyon lotor) invasion stages in Germany since the 2000s . Ecological Indicators 175: 113568
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